BNC Erklärung

Die Reaktion des Westens auf die russische Invasion – entlarvend: Nichts als Pseudoargumente bezüglich der BDS-Kampagne gegen das Apartheid-Regime Israel

15. März 2022 / Palestinian BDS National Committee (BNC)

Die Palästinenser *innen empfinden tiefes Mitgefühl angesichts des Leids von Millionen Ukrainer*innen, die sich dem Krieg ausgesetzt sehen, insbesondere mit dem der über zwei Millionen Geflüchteten, die in den Nachbarländern Schutz suchen. Im Einklang mit der absoluten Mehrheit der im globalen Süden lebenden Menschheit lehnt das palästinensische BDS-Nationalkomitee den Krieg ab. Das heißt, die breiteste Koalition innerhalb der palästinensischen Gesellschaft, die die globale BDS-Bewegung koordiniert, lehnt Krieg ab, unabhängig davon, ob es sich um die illegale Aggression Russlands in der heutigen Ukraine handelt, die ungeachtet der anhaltenden NATO-Provokationen gegen die UN-Charta verstößt, oder um die vielen offenkundig illegalen und unmoralischen von den USA oder der NATO geführten Kriege der letzten Jahrzehnte, die ganze Nationen verwüstet und Millionen Menschen das Leben gekostet haben.

Wir sehen in der herzlichen Aufnahme der weißen Geflüchteten aus der Ukraine durch den Westen ein Beispiel dafür, wie alle Geflüchteten, die den Verwüstungen von Kriegen, dem wirtschaftlichen Niedergang oder der Klimaungerechtigkeit zu entkommen versuchen, vom Westen behandelt werden sollten, insbesondere wenn diese Katastrophen in erster Linie vom westlichen Imperialismus verursacht werden. Diese Herzlichkeit steht jedoch in scharfem Kontrast dazu, wie dieselben Länder PoC und Schwarzen Geflüchteten begegnen, die an ihren Küsten und Grenzen ankommen: mit Rassismus, Mauern, „Push-Backs“, erzwungenen Familientrennungen und sogar Ertrinken-Lassen – die gleiche Bigotterie, die nicht-weiße Geflüchtete aus der Ukraine derzeit erfahren.

Diese westliche Doppelmoral schmerzt, demütigt und erzürnt die Menschen im Globalen Süden, so auch uns Palästinenser*innen. Schließlich ist Israels jahrzehntealtes Regime der militärischen Besatzung, des Siedlerkolonialismus und der Apartheid nicht nur „Made in the West“, sondern wird immer noch von demselben zutiefst kolonialen und rassistischen Westen, insbesondere den USA, Großbritannien und der EU, bewaffnet, finanziert und vor Rechenschaftspflicht geschützt.

Die von den Palästinenser*innen angeführte Boykott-, Desinvestitions- und Sanktionsbewegung (BDS) besteht auf der Gleichwertigkeit der Menschen und ihrer Rechte und setzt sich dafür ein, die Beteiligung am israelischen Unterdrückungsregime zu beenden, das uns Freiheit, Gerechtigkeit und Gleichheit verweigert. Rev. Martin Luther King Jr. beschrieb einst Boykotte für ethnische Gerechtigkeit als „Aufkündigung … der Zusammenarbeit mit einem üblen System“. In der Tat setzt BDS Staaten, Unternehmen und Institutionen unter Druck, ihre direkte und indirekte Zusammenarbeit mit Israels Regime zu beenden, das uns tötet, uns ethnisch säubert, unseren Flüchtlingen das Recht auf Rückkehr verweigert, uns einsperrt, unser Land stiehlt, uns in immer kleiner werdenden Bantustans erstickt und zwei Millionen von uns im Freiluft-Gefängnis Gaza belagert – eine fortwährende Nakba.

Als gewaltfreie, antirassistische Menschenrechtsbewegung richtet sich BDS konsequent gegen Unternehmen und Institutionen, und das auf der Grundlage von deren Komplizenschaft, nicht ihrer Identität. BDS zielt nicht auf Einzelpersonen ab, selbst wenn diese mit mitschuldigen Institutionen verbunden, jedoch nicht deren Vertreter*innen sind.

Die derzeitigen hysterischen, diskriminierenden westlichen Boykotte, mit denen Russ*innen aufgrund ihrer Identität oder ihrer politischen Ansichten konfrontiert werden, stehen daher im Widerspruch zu den ethischen Grundsätzen der BDS-Bewegung. Westliche Mainstream-Medien, darunter ein überraschend fairer Artikel in der New York Times, beginnen, dies zu entdecken. Sie heben den „viel differenzierteren“ Charakter des BDS-Boykotts, der auf die Komplizenschaft von Institutionen und Unternehmen mit Apartheid-Israel abziele, anerkennend hervor und vergleichen ihn mit den alarmierend fremdenfeindlichen, identitätsbasierten, McCarthy’schen Boykotten gegen Russ*innen.

Zu diesen Maßnahmen, die von den zutiefst rassistischen, chauvinistischen und voreingenommenen westlichen Mainstream-Medien angeheizt werden, gehört der Boykott russischer Filme, von Kulturschaffenden (einschließlich Tschaikowsky und Dostojewski, die beide seit Ende des 19. Jahrhunderts tot sind!), Akademiker*innen (mit Ausnahme derer, die die Invasion öffentlich anprangern), und sogar russischer Katzen. Ein Professor für Ethik in der Medizin in New York forderte Pharmaunternehmen auf, den Verkauf von Medikamenten an Russland einzustellen: „Das russische Volk muss gekniffen werden … durch das Vorenthalten von Produkten, die es benutzt, um sein Wohlbefinden zu erhalten. So grausam ist der Krieg.“ Ein Krankenhaus in Deutschland – einem Staat, der die israelische Apartheid blindlings verteidigt und aufrüstet und in dem es von antipalästinensischem Rassismus und Anti-BDS-McCarthyismus nur so wimmelt – hat angekündigt, dass es keine russischen Patient*innen mehr aufnehmen werde, was eine eklatante Verletzung des Hippokratischen Eids darstellt.

Die westliche Heuchelei hat internationale Institutionen infiziert, die vom Westen dominiert werden. Die FIFA, das Internationale Olympische Komitee, die UEFA, die Eurovision, das gigantische akademische EU-Forschungsprogramm Horizon und andere haben jahrelang BDS-Forderungen zurückgewiesen, den Apartheid-Staat Israel auszuschließen, und ihre Komplizenschaft mit Plattitüden wie „Sport steht über der Politik“, „akademische Forschung steht über der Politik“ und „Kunst steht allemal über der Politik“ verschleiert. Sportler*innen, die sich mit den Palästinenser*innen solidarisierten, wurden mit hohen Geldstrafen belegt und sogar für viele Jahre gesperrt, während Sportler*innen und Nationalmannschaften, die Russland aus Solidarität mit der Ukraine boykottieren, von denselben Sportverbänden aktiv gefördert und belohnt werden. Einige mutige arabische Champions fangen an, sich zu dieser Heuchelei zu äußern.

Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) verschwendete Jahre mit Streitereien, bevor er schließlich eine Untersuchung zu israelischen Verbrechen gegen Palästinenser*innen einleitete (ohne bislang einen konkreten Schritt unternommen zu haben), einschließlich des israelischen Massakers 2014 in Gaza, bei dem in wenigen Wochen mehr als 500 palästinensische Kinder getötet wurden. Im Vergleich dazu: Tage nach Russlands Invasion leitete der IStGH bereits eine Untersuchung ein.

Abgesehen von der Heuchelei drückt die Geschwindigkeit, mit der all diese vom Westen dominierten Organisationen Russland und Russ*innen nur wenige Tage nach dem Einmarsch in die Ukraine boykottierten, ausschlossen oder anderweitig sanktionierten, eine eindeutig rassistische Botschaft an Palästinenser*innen, Jemenit*innen, Iraker*innen, Afghan*innen und viele andere aus, dass unser Leben und unsere Rechte als BiPOCs nicht zählen. Ironischerweise machen dieses Vorgehen und die Erklärungen, die es rechtfertigen sollen, auch fast alle Anti-BDS-„Argumente“ zunichte, die Israel und seine antipalästinensischen Apologet*innen im Westen seit 17 Jahren gegen uns vorbringen, um unsere Forderungen nach Rechenschaftspflicht und Gerechtigkeit vom Tisch zu fegen.

Während es immer hieß: „Geschäft über Politik“, haben plötzlich Hunderte westlicher Unternehmen alle geschäftlichen Aktivitäten in Russland beendet, um gegen die Invasion in die Ukraine zu protestieren, aber keines von ihnen hat jemals gegen die brutalen und tödlichen US-Invasionen im Irak und in Afghanistan protestiert. McDonald’s beispielsweise unterhält eine Filiale in Guantanamo Bay, einem der berüchtigtsten Folterlager der Welt. Viele dieser Unternehmen, wie HP, Hyundai, Caterpillar, General Mills und Puma, werden von der BDS-Bewegung ins Visier genommen, weil sie Israels jahrzehntelanges Besatzungs- und Apartheid-Regime gegen die Palästinenser*innen aktiv unterstützen. Airbnb, das sich innerhalb weniger Tage nach Beginn der Invasion aus Russland zurückgezogen hat, fördert weiterhin Angebote in illegalen israelischen Siedlungen, die auf gestohlenem palästinensischem Land errichtet wurden, was ein Kriegsverbrechen darstellt.

Es ist uns auch wichtig, klarzustellen, unter welchen Bedingungen Sanktionen rechtmäßig und moralisch gerechtfertigt sind. Staaten und zwischenstaatliche Organisationen können Sanktionen unter der Voraussetzung verhängen, dass diese darauf abzielen, schwerwiegende Verstöße gegen das Völkerrecht wie militärische Angriffe, koloniale Annektierung und Dominanz oder Apartheid zu beenden, ohne zwischen den Verursacherstaaten zu unterscheiden. Um rechtmäßig zu sein, müssen Sanktionen die grundlegenden Menschenrechte und humanitären Verpflichtungen respektieren und der Schwere der Verletzung angemessen sein. Die von den USA verhängten Sanktionen wurden jedoch immer wieder selektiv angewandt, um geopolitische Interessen durchzusetzen, und wenn sie sich insbesondere gegen Staaten des globalen Südens richteten, waren sie meist darauf ausgerichtet, die Bevölkerung vernichtend zu treffen. In einigen Fällen, wie im Irak, haben diese Sanktionen zu Völkermord geführt.

Im Gegensatz dazu fordert BDS, und mit ihm die palästinensische Zivilgesellschaft, gezielte, verhältnismäßige und rechtmäßige Sanktionen, die darauf abzielen, Israels Unterdrückungssystem der Apartheid, des Siedlerkolonialismus und der Besatzung zu beenden und dabei nicht den einfachen Menschen zu schaden. Dazu gehören ein umfassendes militärisches und sicherheitspolitisches Embargo, die Kappung der finanziellen Verbindungen zu Banken, die Apartheid und Siedlungen finanzieren, sowie der Ausschluss von Apartheid-Israel von den Olympischen Spielen, der FIFA, Horizon und anderen internationalen Gremien. Andererseits ist die Unterbrechung der Versorgung mit Lebensmitteln, Medikamenten und anderen grundlegenden Gütern, wie es die US-Sanktionen häufig tun, weder moralisch zu rechtfertigen noch rechtens.

Schließlich, Krieg ist immer von Übel, aber manchen bietet er auch eine unredliche Chance. Zu den größten Profiteur*innen des Ukraine-Krieges gehören bisher westliche Sicherheitsunternehmen und Unternehmen für fossile Brennstoffe. Auch Israel hat diesen Krieg, wie auch andere Katastrophen, als große Chance gesehen, um Gas nach Europa zu verkaufen und Investitionen von Oligarch*innen zu gewinnen und so seine Apartheidwirtschaft zu stärken. Mit seinen diskriminierenden Steuergesetzen, die neue jüdische „Einwander*innen“ (für die einheimischen Palästinenser*innen koloniale Siedler*innen) für mindestens 10 Jahre von den Steuern auf ihr Auslandseinkommen befreien, zieht Israel viele russische Oligarch*innen (soweit sie jüdisch sind) an, die so den westlichen Sanktionen entgehen. Ein eklatantes Beispiel ist Roman Abramovich, der 2018 die israelische Staatsbürgerschaft erhielt und dessen Jet am ersten Tag der russischen Invasion in Tel Aviv landete. Völlig ungestraft hat er über Jahre hinweg mehr als 100 Millionen Dollar an die gewalttätig-fanatische Siedlergruppe Elad gespendet, die sich daran beteiligt, Palästinenser*innen aus ihren Häusern im besetzten Jerusalem zu vertreiben.

Das Israel der Apartheid, das alles daran setzt, sein „Regime der jüdischen Vorherrschaft vom Jordan bis zum Mittelmeer“ aufrechtzuerhalten, so die führende israelische Menschenrechtsorganisation B’Tselem, drängt auch ukrainische Geflüchtete, falls es sich um jüdische handelt, zur Auswanderung (während es selbstredend nichtjüdische Geflüchtete diskriminiert) und plant, viele von ihnen widerrechtlich auf palästinensischem Land im besetzten Gebiet anzusiedeln. Palästinenser*innen zahlen wieder einmal einen hohen Preis für einen Krieg, mit dem sie überhaupt nichts zu tun haben.

Dennoch, wir betteln nicht um Almosen. Wir fordern Rechenschaftspflicht, Gerechtigkeit und volle Gleichberechtigung für alle Menschen. Wir bauen Basisbewegungen und immer stärkere intersektionale Solidaritätsnetzwerke auf, um die internationale Komplizenschaft mit Israels Apartheidregime zu unterminieren. Während unser Befreiungskampf nur ein kleiner Teil der globalen Kämpfe für indigene, ethnische, wirtschaftliche, soziale, Gender- und Klimagerechtigkeit ist, bleibt Palästina in den Augen eines Großteils der Welt ein wichtiger Gradmesser für die Fähigkeit der westlichen Gesellschaften, sich wirklich zu entkolonialisieren und ihre jahrhundertealte rassistische Kolonialität zu überwinden.

John Dugard, südafrikanischer Jurist und ehemaliger Ad-hoc-Richter am Internationalen Gerichtshof, schrieb einmal: „Die Palästinafrage ist zum Lackmustest für die Menschenrechte geworden. Wenn der Westen sich nicht um die [palästinensischen] Menschenrechte kümmert … wird der [nicht-westliche Rest der Welt] zu dem Schluss kommen, dass die Menschenrechte ein Instrument sind, das der Westen gegen ihm missliebige Regimes einsetzt, und kein objektives und universelles Instrument zur Messung der Behandlung von Menschen auf der ganzen Welt.“

Es ist höchste Zeit, den palästinensischen BDS-Aufruf zu beherzigen und zu unserer lang erwarteten Befreiung beizutragen.

West’s Response to Russian Invasion Demolishes Excuses for Rejecting BDS against Apartheid Israel
Übersetzung Redaktion BDS-Kampagne.de