Erklärungen

Stellungnahme gegen die Al Quds-Tag-Demo 2016 in Berlin

Seit Ayatollah Chomeini kurz nach der „Revolution“ von 1979 den Al Quds-Tag ausrief, folgen Anhänger*innen des iranischen Regimes dem Aufruf an „alle Muslime der Welt und alle muslimischen Regierungen“ und organisieren Demonstrationen, bei denen sie ihre „muslimische Solidarität zur Unterstützung der legitimen Rechte des muslimischen Volkes Palästinas“[i] zum Ausdruck bringen. Dabei geht es, wie der Name schon sagt – Al Quds = arb. Jerusalem – um die heilige Stadt für jüdische, christliche und muslimische Gläubige.

Im Anschluss an die erste Al Quds-Demo in Teheran ging Chomeini verschärft gegen noch existierende kritische Zeitungen und Parteien vor und verurteilte „nicht-revolutionäre Kräfte“.

Mahmud Ahmadinedschad, einer von Chomeinis Nachfolgern, sah sich bei der Al Quds-Demo von 2009 mit dem Widerstand der eigenen Bevölkerung konfrontiert. Oppositionelle in Teheran nutzten die von oben verordnete Demo, um sich gegen seine Politik einer hohlen Propaganda bei gleichzeitiger Vernachlässigung der Interessen der Mehrheit der Iraner*innen zu wenden; sie riefen: „Nicht Gaza, nicht Libanon – mein Leben für Iran!“. Ähnlich wie sie sind Palästinenser*innen in Jerusalem, Israel, den besetzten Gebieten und den Flüchtlingslagern der Nachbarländer weitgehend oder ganz unempfänglich für die iranische Propaganda und zelebrieren keinen alljährlichen Al Quds-Tag.

In Berlin (zuvor in Bonn) wurde und wird der Tag seit vielen Jahren begangen, so auch am 2. Juli diesen Jahres, wobei ein „Volkswiderstand“ „der Unterdrückten gegen die Unterdrücker“ beschworen wird, dem sich unter muslimischer Führung Jüdinnen und Juden, Christ*innen und Agnostiker*innen gerne anschließen dürfen. Die Demo-Organisator*innen stellen sich dabei weiterhin in die Tradition des Al Quds-Tages, wie er von Chomeini ausgerufen wurde, damit in eine Tradition, bei der der Konflikt als weltweiter Religions- oder Kulturkampf gedeutet wird. Die Muslime sind die Sachwalter „der Unterdrückten“. Der Feind  sind „die Zionisten und ihre Marionetten“, der „amerikanische Satan“, die „Lügenpresse“, die „Intellektuellen, die von den Zionisten gut bezahlt werden“ etc.

Ultra-orthodoxe, antizionistische Juden werden von den Organisator*innen geradezu überschwänglich begrüßt. Großzügig wird ihnen versprochen, wenn Al Quds erst „zionistenfrei“ sei und es eine muslimische Mehrheit in Palästina gebe, würden sie deren Schutz genießen, so der Moderator der Al Quds-Demo 2015 in Berlin.[ii]

Das religiöse Selbstverständnis, die “richtige” muslimische und jüdische Einstellung scheinen die Antriebsfeder für diese Demonstration zu sein.

Die Rhetorik, auf der Seite „der Unterdrückten“ gegen „die Unterdrücker“ zu kämpfen, ist wenig glaubhaft angesichts der systematischen Repressionen, unter denen die iranische Bevölkerung seit Jahrzehnten zu leiden hat. Sie wird auch nicht überzeugender, führt man sich die verheerende Rolle des iranischen Regimes, die es in Syrien spielt, vor Augen. Indem es den Krieg des Assad-Regimes gegen die syrische Bevölkerung und deren Freiheitsbestrebungen massiv unterstützt, trägt es eine große Verantwortung für die Opfer, darunter auch zahlreiche Palästinenser*innen.

Wir, BDS Berlin, wenden uns entschieden gegen Deutungen, die Hetze und Rassismus Vorschub leisten. Genau das sehen wir aber in der Vorstellung, es gehe um einen Kampf der Religionen oder der Kulturen und nicht um einen politischen Konflikt. Wenn von den „Rechten des muslimischen Volkes Palästinas“ die Rede ist, impliziert dies entweder, dass es nur um die Rechte der Muslime Palästinas geht, und/oder dass „die Palästinenser*innen“ alle Muslime sind, was nicht zutrifft. Außerdem stellen wir fest, dass die Al Quds-Tag-Organisator*innen zwar peinlich bemüht sind, direkte anti-jüdische Äußerungen zu vermeiden, zugleich aber antisemitische Stereotypen bis ins sprachliche Detail reproduzieren. So heißt es auf ihrer Website zum Zionismus etwa: „Eine international operierende Bewegung, die tief in das Leben vieler Völker eingreift aber von niemandem erkannt, analysiert und kritisiert werden möchte und Niemandem gegenüber Rechenschaft ablegt.“ Diese Bewegung arbeite sich „wie ein Geschwür in den westlichen Machtstrukturen“ hoch und sie sei ein „Sammelsurium teilweise geheimer Organisationen, welches die nationalen Rechtssysteme durch Globalisierung“ übergehe und „sich auf diese Weise jeglicher Verantwortung“ entziehe.[iii]

BDS Berlin lehnt solche antisemitischen, kulturkämpferischen und  Ressentiments schürenden Deutungsmuster entschieden ab. Im Zentrum der weltweiten von der palästinensischen Zivilgesellschaft initiierten BDS-Kampagne stehen universell anerkannte Rechte, die für alle Menschen in der Region und überall gelten sollten, so die Rechte von Flüchtlingen.

Darin sind wir uns einig mit anderen Bewegungen, Gruppen und Initiativen weltweit, darunter auch zahlreichen jüdischen Organisationen. Uns geht es wie ihnen um nachvollziehbare  Argumente und Strategien der Solidarität mit denen, die seit Jahrzehnten darauf warten und dafür kämpfen, dass ihre Rechte anerkannt und umgesetzt werden. Wir recherchieren im Einzelnen die Ursachen und Zusammenhänge und stoßen dabei nicht auf irgendwelche „Unterdrücker“, die von dunklen Kräften angetrieben werden und womöglich insgeheim etwas gegen „die Unterdrückten“ aushecken – wir informieren vielmehr über konkrete Interessen, z.B. die internationaler Unternehmen, die von der Repressionspolitik Israels profitieren. Nicht selten entdecken wir die Interessen Deutschlands, um die es etwa bei der militärischen Kooperation mit Israel geht.

BDS ist eine Bewegung, die antisemitischen und anderen obskurantistischen Ideologien im Stil der Al Quds-Propaganda den Wind aus den Segeln nimmt. Wenn das Antifaschistische Berliner Bündnis gegen den Al Quds-Tag ausgerechnet BDS als antisemitisch verleumdet, wofür es selbstredend keinen Beleg anführt, sehen wir ihm das nach. Die elf Jahre alte, international erfolgreiche BDS-Kampagne tritt in Deutschland noch relativ wenig in Erscheinung, so dass diese vor allem in ihren deutschen Kontexten verhafteten Leute vielleicht bisher keine Gelegenheit hatten zu sehen, dass die Kampagne in Großbritannien, Frankreich, den USA und anderswo eng mit anti-rassistischen, linken und emanzipatorischen Bewegungen verbunden ist.

Ein Verbot der Al Quds-Tag-Demo in Berlin, wie es jetzt ausgerechnet von den Kreisen gefordert wird, denen es vor allem darum geht, den Palästinenser*innen ihre grundlegenden Rechte abzusprechen und dies mit anti-muslimischer Hetze zu verbinden,  lehnen wir ab.  Ebenso lehnen wir eine Aushebelung des Rechts auf Meinungsfreiheit ab.

Übrigens (an das Antifaschistische Berliner Bündnis gegen den Al Quds-Tag): Soeben trifft die Nachricht ein, dass neben zahlreichen anderen namhaften Intellektuellen weltweit, darunter Alice Walker oder Judith Butler, nun auch der Gelehrte  und Romancier, Pulitzer Preisträger von 2016 Viet Thang Nguyen (u.a.: Race and Resistance, Literature and Politics in Asian America) sich dem kulturellen und akademischen Boykott Israels als Mittel zur Unterstützung palästinensischer Rechte mit den Worten anschließt:

Immer erinnern, nie vergessen! Diese bedeutsamen Worte verpflichten uns darauf, Beides im Auge zu behalten, das Unrecht der Vergangenheit und das der Gegenwart. Ein solches gegenwärtiges Unrecht, das wir uns immer wieder ins Gedächtnis rufen müssen, ist die israelische Besatzung und die Entrechtung der Palästinenser*innen. Für jede/n von uns, der/dem Gerechtigkeit ein Anliegen ist, liegt es auf der Hand: Wir müssen an der Seite derjenigen stehen, die, ohnmächtig und vergessen, dem Militarismus und dem Staat ausgeliefert sind.[iv]

Berlin, 1. Juli 2016

[i] http://iranprimer.usip.org/resource/iran-and-palestinians
[ii] http://www.qudstag.de/reden-vom-internationalen-qudstag-2015-in-berlin/
[iii] http://www.qudstag.de/flyer-zur-quds-demonstration-2009/
[iv] http://www.usacbi.org/2016/06/viet-thanh-nguyen-2016-pulitzer-prize-winner-endorses-academic-and-cultural-boycott-of-israel/


Reaktionen und Bezugnahmen:

i24NEWS 20.07.2016: Israeli peace activists in Berlin divided over support for BDS