Offener Brief an Abgeordnete des Thüringer Landtages zu ihrem Antrag ‚Antisemitismus in Thüringen konsequent bekämpfen‘
Sehr geehrte Abgeordnete von CDU, DIE LINKE, SPD und BÜNDNIS 90 /DIE GRÜNEN im Thüringer Landtag
wir, BDS Berlin, begrüßen Ihre Initiative, Antisemitismus in Thüringen konsequent bekämpfen zu wollen, wie Sie sie in der Präambel zu Ihrem Antrag vom 13.03.2018 ausführen.
Dazu machen Sie eine ganze Reihe konkreter Umsetzungsvorschläge, die leider zum Teil ungeeignet sind, dem Anliegen Ihres Antrags gerecht zu werden. Das bedauern wir sehr; denn Antisemitismus ist wie andere Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit ein Phänomen, das wir sehr ernst nehmen, das in Deutschland durchaus nicht verschwunden ist und das unserer Auffassung nach auch von gewählten Parlamentarier*innen ernsthaft angegangen werden sollte.
Sie bekennen sich ausdrücklich zu Ihrer Verantwortung gegenüber jüdischen Mitbürger*innen in Thüringen und Deutschland und dazu, dass diese sich in Deutschland sicher vor Anfeindungen fühlen sollen.
Wir sind der Auffassung, dass Sie mit Ihren unsachlichen Vorschlägen dazu nicht beitragen, im Gegenteil: Eine fahrlässige, inkonsistente Argumentation in diesem Zusammenhang ist der Bekämpfung des real existierenden Antisemitismus in der deutschen Gesellschaft nicht dienlich, sie schwächt sie vielmehr.
Was heißt das im Einzelnen?
Man mag die Verbrennung von Staatsfahnen als politische Äußerung seiner Ablehnung der Politik eines Staates für eine relativ grobschlächtige Form der politischen Äußerung halten (so geht es uns jedenfalls). Doch die Verbrennung eines anderen Stück Stoffs, der US-Flagge während der Proteste seinerzeit gegen den Vietnamkrieg war genauso wenig ein Ausdruck des Hasses gegenüber US-Bürger*innen oder gegen Christ*innen (die Mehrheit der Bürger*innen dieses Staates), wie es heute Judenhass ist, wenn die Fahne Israels verbrannt wird. Und auch wenn Israel sich als Staat der Juden bezeichnet, täte man den Jüdinnen und Juden in Israel und weltweit Unrecht, wenn man sie – wieder einmal – essentiell einer Gruppe von Menschen zuordnen würde, in diesem Fall einer die angeblich ganz in diesem Staat aufgeht (dessen Bürger*innen im Übrigen zu ca. 20% keine Jüdinnen/Juden sind).
Verblüfft sind wir über die argumentativ durch nichts fundierte Deklaration Ihrerseits, die Aktivitäten der BDS-Bewegung seien als antisemitisch einzuordnen. Wir wären gespannt zu erfahren, wie Sie darauf kommen.
Auch würde es uns interessieren, wie Sie, liebe Thüringer Landtagsabgeordnete, gedenken, der weltweiten BDS-Bewegung entschlossen entgegenzutreten. Sie wollen es also neben Ihren vielen Aufgaben für das Wohl der Bürger*innen Thüringens auf sich nehmen, mitgliederstarke Gewerkschaften in Großbritannien, Frankreich, Norwegen, Brasilien, Südafrika, Kanada etc., die alle die BDS-Kampagne unterstützen, in ihre Schranken zu weisen?
Sie wollen es argumentativ mit Judith Butler, Naomi Klein und posthum noch mit dem kürzlich verstorbenen Stephen Hawking aufnehmen, die alle BDS befürworte(te)n?
Sie wollen antirassistischen Bewegungen und solchen für die Rechte indigener Bevölkerungen wie Black Lives Matter oder Standing Rock, die alle mit BDS verbunden sind, klarmachen, dass sie eine antisemitische Bewegung unterstützen? Genau wie die Jewish Voice for Peace (JVP) in den USA, wie European Jews for a Just Peace (EJJP) in Europa und die Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost? Wir können Ihnen nur empfehlen, mal einen Blick auf deren websites zu werfen, um Ihre Argumentation zu schärfen.
Wir bedauern sehr, dass ein Scheitern der Umsetzung Ihrer Initiative gegen Antisemitismus abzusehen ist. Wie soll eine Präventionsarbeit gegen Antisemitismus an Schulen und in anderen Einrichtungen des Landes Früchte tragen, wenn die theoretische Grundlage derart verworren und wenig durchdacht ist?
Wir sind gerne bereit, Sie über die weltweite von der palästinensischen Zivilgesellschaft 2005 vorgeschlagene Kampagne für die Rechte der Palästinenser*innen aufzuklären und Sie damit auch in Ihrem Bemühen zu unterstützen, dem Antisemitismus in Thüringen entgegenzutreten.
Mit den besten Wünschen für Ihre parlamentarische Arbeit,
BDS Berlin
kontakt@bdsberlin.org
Der offene Brief wurde am 19. März 2018 Abgeordneten von CDU, DIE LINKE, SPD und BÜNDNIS 90 /DIE GRÜNEN im Thüringer Landtag per mail zugesandt.